Landfrauen als Orientierungshilfe in Corona-Zeiten

hier möchte ich auf einen Artikel in der Main-Post vom 07.11.2020 aufmerksam machen, den ich sehr interessant und zutreffend fand und der es in meinen Augen Wert ist geteilt zu werden. Zum besseren Verständnis habe ich auch den Samstagsbrief der Main-Post-Redakteurin auf den Frau Wild antwortet im Anschluss beigefügt. In diesem Sinne Chaupeau an Frau Wild !!

Meinung Samstag, 7.11.2020

Durchhalten ist eine Option Landfrauen als Orientierungshilfe in Corona-Zeiten: Martina Wild, Würzburger Kreisbäuerin, antwortet auf einen Samstagsbrief

Unsere Autorin Gisela Rauch hat in einem Samstagsbrief Landfrauen als Orientierungshilfe in Corona-Zeiten benannt. Deren Vorsitzende aus dem Landkreis Würzburg hat darauf geantwortet.

„Liebe Frau Rauch, die Überraschung ist Ihnen gelungen: auf Seite zwei der Wochenendausgabe einen Samstagsbrief an die Landfrauen zu setzen! Lob und Danke dafür. Ich vermute, dass Sie zum Einstieg ins Thema ,Wie gestalte ich mein Leben positiv in der Corona-Krise‘ das Apfelkuchenbacken mit Landfrauenaktionen assoziiert haben.

Ja, Backen und Basteln sind die Aufgabenbereiche, die den (Land-)Frauen bei Jubiläen und Festen im Jahreskreis traditionell zugeteilt werden und wo diese dann auch öffentlich und positiv wahrgenommen werden. Aber die Landfrauen auf diese typischen Frauen-Tätigkeitsbeschreibungen festzulegen, tut ein bisschen weh und wird der heutigen Landfrauenarbeit nicht gerecht.

Die Landfrauenvereine sind die größten Frauenvereine in Deutschland. In Bayern haben wir dazu die Besonderheit, dass die Landfrauen über den Bayerischen Bauernverband organisiert sind. Auf Orts-, Kreis-, Bezirks- und Landesebene bis zum deutschen Landfrauenverband sind die Landfrauen sehr gut strukturiert und vernetzt. Die Aufgabengebiete umfassen Landwirtschaft, Bildung, Hauswirtschaft und Ernährung, Altersabsicherung, Lohngerechtigkeit, Politik, Soziales und vieles mehr. Ein besonderer Schwerpunkt ist die Vermittlung von Alltagskompetenzen und Ernährungsbildung an Schulen.

Was Sie, verehrte Frau Rauch, mit ,kleiner Welt‘ beschreiben sehe ich so: Wer auf dem Land aufgewachsen ist oder seinen Lebensmittelpunkt hier hat, kennt und nutzt seine Ressourcen. Der Bezug zur Natur und natürlichen Vorgängen wie Vegetation, Wetter und Klima und die Beziehung zu Tieren und den Mitmenschen machen uns demütiger und dankbarer; vielleicht auch realistischer. Wir haben von Kindheit an gelernt, dass nicht alles regelmäßig und selbstverständlich ist. Und unsere Großmütter und Mütter haben uns gelehrt, dass Aus- und Durchhalten auch eine Option ist!

Von ihnen wissen wir auch, dass das Bewahren von Brauchtum und Tradition neben der Moderne, Sicherheit und Stabilität die Grundlage für ein gut gelingendes Leben ist. Wir ,Landmenschen‘ sind sozialisiert, kennen unsere Nachbarn und sind im Dorf- und Vereinsleben aktiv.

Sorgen bereitet uns die weitere Entfremdung von Stadt- und Landbevölkerung. Es besteht die Gefahr, dass keinerlei Verständnis füreinander mehr da ist. Deshalb sind Kommunikation und ständiger Dialog wichtiger denn je. Und damit sind wir wieder bei der Orientierungshilfe, liebe Frau Rauch, die Sie uns Landfrauen zuschreiben!“

Und hier der Samstagsbrief von Frau Rauch:

Meinung Samstag, 17.10.2020 Sie sind meine Orientierungshilfe, Frau Wild!

Liebe Frau Wild, mein erster Versuch, einen Apfelkuchen zu backen, ist misslungen. Eigentlich sollte ja ein Mürbeteigboden, der 50 Minuten backt, tragfähig sein, aber bei mir ist er es nicht – er zerkrümelt. Mein zweiter Apfelkuchen, mit Rührkuchenteig, gelingt aber. Meine Kinder zeigten sich erfreut über die Kuchen und irritiert über ihre Mutter. „Seit wann backst du?“ „Seit Corona.“

Natürlich fragen Sie sich jetzt, sehr geehrte Frau Wild, was Sie als Kreisbäuerin und als erfahrene Landfrau mit meinen Backversuchen zu tun haben. Es ist so: Wenn Sie erlauben, nehme ich Sie als Orientierungshilfe in diesem Corona-Herbst. Natürlich weiß ich nicht, ob dieser Herbst wirklich der übelste Herbst meines Lebens wird und ob der Winter wirklich so lang, so zäh, so dunkel wird, wie ich mir das gerade vorstelle. Aber es fühlt sich im Moment so an. Die Wärme geht und damit die Möglichkeit, die Sonne auf der Haut zu spüren. Das Licht geht und damit die Möglichkeit, lang draußen unterwegs zu sein.

Vor mir liegen Monate, die ich notgedrungen in einem Maße zu Hause verbringen muss wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Normalerweise plane ich um diese Zeit die Teilnahme an Tanzevents in anderen Städten; aber die Tanzszene ist aufgrund von Corona weitgehend lahmgelegt. Normalerweise fahre ich im Herbst für ein paar Tage zu einer Freundin nach Berlin; aber Berlin kann man mit Blick auf dortige Corona-Zahlen gleich abschreiben. Besuch einladen? Verantwortungslos! Auslandsreisen planen? Lieber nicht! Der Spielraum, der mir in den nächsten Monaten bleibt, beschränkt sich im Wesentlichen auf ein paar Dutzend Quadratmeter: Kinder, Haus, Homeoffice. Die Welt ist verdammt klein geworden.

Was ich früher mit „kleiner Welt“ assoziiert habe, war unter anderem das Leben von Landfrauen; ich hoffe, sehr geehrte Frau Wild, dass Sie mir diese Assoziation nicht langfristig übel nehmen. „Klein“ erschien mir bestimmt nicht das Landfrauen-Leben selbst, aber doch der aufgrund von vielen täglich wiederkehrenden Pflichten in Haus und Hof zur Verfügung stehende Zeit- und Bewegungsrahmen.

Ich erinnere mich an Meldungen von Landfrauen, die sich meist auf saisonale Events bezogen: Ausflüge in die nahe Umgebung, Herbstdeko basteln und gemeinsame Weihnachtsbäckerei, sowas halt. Mittlerweile haben die Landfrauen natürlich Websites und kommunizieren unter anderem auch Anlagetipps. Aber eben auch unter dem Titel „Kirchweih in Zeiten von Corona“ das Rezept für „Kirchweihnudeln“, für die man Mehl, Eier, Salz, Sahne, Hefe, Butter und Rosinen braucht. „Einfach selber machen!“, steht da.

Und natürlich ist das sinnvoll: Wenn man stark gebunden ist an den Ort, an dem man gerade ist, tägliche Pflichten den Radius einengen und kleine Fluchten – auf die Balearen oder nach Berlin – wegfallen, tut man gut daran, mit dem zu arbeiten, was man gerade hat. Das ist nicht mal ansatzweise ironisch gemeint, sondern aufrichtig bewundernd, wenn ich sage: Da kann ich von Ihnen lernen. Bloß habe ich mir immer mit diesen typischen Frauen-Tätigkeitszuschreibungen schwer getan. Nicht, dass ich Backen an sich unsinnig finde. Aber wenn es früher vor einem Elterntreffen hieß: „Mütter, backt doch mal eben zum Termin einen Kuchen!“, war sicher ich diejenige, die ohne Kuchen kam. Aus Protest; weil die Aufforderung nur an Frauen ging!

Festzementierte Geschlechterrollen finde ich falsch. Und als im Frühjahr, kurz nach dem Corona-Lockdown, Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, beklagte, dass wir in der Krise „einen Rückfall auf die Rollenteilung wie zu Zeiten unserer Großeltern“ erleben, habe ich zugestimmt: Nicht einzusehen, dass vor allem die Mütter zu Hause bleiben, wenn die Kids wegen des Lockdowns nicht in die Schule dürfen. Dass Arbeitslast vor allem den Müttern draufgeschlagen wird, wenn Schulen, Kitas, Schulmensen, Vereinstraining und Co schließen oder nur eingeschränkt funktionieren. Dass also die Mütter sich wieder in Retro-Rollenbildern einrichten, die stark hausfraulich geprägt, ja vielleicht sogar einen Touch 50er Jahre haben.

Anders als im Frühjahr akzeptiere ich aber gerade, dass uns die Corona-Krise auf uns selbst und unsere kleine Welt zurückwirft. Dass wir unser altes Leben nicht zurückkriegen. Dass wir besser durch die nächsten Monate kommen werden, wenn wir der Retraditionalisierung zum Trotz das machen, was nahe liegt – statt zu jammern. Also versuche ich jetzt mal, Kirchweihnudeln zu backen. Danke an die Landfrauen, Frau Wild!

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